11.03.2023 |
Die Schweizerische Gesellschaft für Handchirurgie SGH wehrt sich mit Fakten
Das Magazin «Der Beobachter» vom Ringier Axel Springer Verlag behauptet in einem seit Freitag, 3. März auf beobachter.ch publizierten Bericht, dass die Orthopädische Klinik Luzern (OKL) mit einem Angebot Zweiklassenmedizin fördere. Das Angebot verstosse zudem gegen das Krankenversicherungsgesetz.
Beim Angebot handelt es sich um die Möglichkeit für Patientinnen und Patienten, im Bereich planbarer ambulanter Eingriffe an der Hand (Handchirurgie) die Terminplanung zu optimieren. Es ist somit grundsätzlich möglich, einen Termin bei Verfügbarkeit zeitlich vorzuverschieben. Ein entsprechender Flyer wurde Patientinnen und Patienten dem Informationsschreiben über die Standard-Terminplanung beigelegt. Dieser Service ist jedoch nicht kostenlos, denn damit ist ein erhöhter organisatorischer Aufwand verbunden. OKL-Geschäftsführer André Fischer erklärt: «Alle Patienten werden gleichbehandelt. Bei diesem Angebot geht es um eine reine flexible Serviceleistung, die nichts mit der medizinischen Qualität zu tun hat. Wenn aber jemand aus irgendwelchen Gründen eine Konsultation oder einen planbaren Eingriff zeitlich vorverlegen will, dann wollen wir das – sofern überhaupt verfügbar – anbieten, ohne dass deswegen eine andere Patientin oder ein anderer Patient länger warten muss. Entsprechende Leistungen erfolgen deshalb ausschliesslich in Rand- oder Überzeiten.»
Keine Zweiklassenmedizin
Alle Patienten werden in der OKL ohne Zusatzkosten prioritär nach der medizinischen Dringlichkeit und in zweiter Linie nach Reihenfolge des Eingangsdatum der Anmeldung behandelt. Weil es sich ausschliesslich um ambulante Eingriffe handelt, ist nicht relevant, wie die Patienten versichert sind. Bei ambulanten Behandlungen hat eine Zusatzversicherung in diesem Bereich keine Bedeutung. André Fischer: «Wir wissen bis zum effektiven Sprechstunden-Tag im Normalfall nicht, wie der Patient versichert ist.»
Das Angebot der OKL stand Grundversicherten und Zusatzversicherten als reine Service-Leistung zur Verfügung. Entsprechend wehren sich die OKL und die SGH gegen den Vorwurf des Beobachters, wonach dieses Angebot die Zweiklassenmedizin fördere.
Journalistische Fehlinterpretationen führen zu Beschimpfungen von Mitarbeitenden
Der Beobachter hat in einer ersten Fassung des Berichts behauptet, dieses Angebot sei gesetzeswidrig. Inzwischen hat er den Text angepasst und behauptet neu nur noch, die Gesetzeskonformität sei «fraglich». Das ist die einzige Anpassung, die der Beobachter nach fünf Tagen intensiver Kommunikation von Seiten der OKL und der Schweizerischen Gesellschaft für Handchirurgie zugestanden hat. Dies, obwohl die SGH sogleich und ausführlich gegen die aus ihrer Sicht falschen Vorwürfe im Bericht interveniert hatte:
- Es geht nicht um orthopädische Eingriffe, sondern um handchirurgische. Handchirurgie ist eine eigene Fachdisziplin mit Facharzttitel und nicht Teil der Orthopädie, wie das die Beobachter-Redaktion irrtümlich angenommen hat. Dies ist aus folgendem Grund relevant:
- Die Schweizerische Patientenorganisation SPO wurde vom Beobachter ebenfalls zum Angebot befragt. Ihre Antwort bezieht sich auf orthopädische Eingriffe. Die SPO weist darauf hin, dass Bedenkfristen nicht verkürzt werden sollten. Damit hat das Angebot der OKL gar nichts zu tun. Zudem werden an der OKL in 80% aller Fälle die Patienten konservativ, also ohne Operation, behandelt.
- Ob solche Serviceleistungen gesetzeskonform sind, wurde im Auftrag der SGH durch ein fundiertes Gutachten von Prof. Dr. iur. Ueli Kieser untersucht und bestätigt. Prof. Kieser ist Rechtsanwalt und seit 2012 Titularprofessor an der Universität St. Gallen (HSG) für Sozialversicherungsrecht und Gesundheitsrecht. Er gehört in diesen Rechtsgebieten zu den führenden Wissenschaftlern der Schweiz.
- Die SGH hat der Redaktion des Beobachter Einsicht in dieses Gutachten angeboten und in einer ausführlichen Stellungnahme nochmals auf die diversen fragwürdigen Interpretationen sowie auf eindeutige Fehler hingewiesen.
- Einen Tag nach der Publikation auf beobachter.ch übernahm auch 20 Minuten den Bericht. Trotz mehrmaliger Information der Redaktion wurde bis dato kein Fehler korrigiert. Eine Woche nach der Erstpublikation auf beobachter.ch hat auch Blick die Geschichte online aufgegriffen. Dort stand, das Angebot sei gemäss BAG illegal. In der Folge meldeten sich Leserinnen und Leser bei der OKL und beschimpften das Personal.
- Erst dann – eine Woche nach Erstpublikation – hat der Beobachter die Tragweite seiner Fehlinterpretation in diesem Bereich erkannt und den Lead angepasst.
- Falsch ist auch der Übertitel des Artikels auf beobachter.ch. Die Orthopädische Klinik Luzern AG ist ein eigenständiges Unternehmen und gehört nicht Hirslanden. Sie nutzt die Infrastruktur der Hirslanden St. Anna Klinik Luzern. Die SGH hat den Beobachter über diesen offensichtlichen Fehler schriftlich samt Link zum HR-Eintrag der OKL AG informiert. Der Fehler wurde bis dato (Stand 12.03.23) nicht korrigiert.
OKL musste das Pilotprojekt abbrechen
Aufgrund der Missverständnisse und Unruhe, welche die Berichterstattung ausgelöst hat, musste die OKL das Pilotprojekt abbrechen. Damit wurde ein an sich Patientenfreundliches und innovatives Projekt abgewürgt. Von solchen flexiblen, nicht-medizinischen Komfortleistungen für planbare Eingriffe im ambulanten Bereich hätten alle Patienten bei Bedarf und Wunsch profitieren können. Egal ob sie grund- oder zusatzversichert sind und nur wenn die entsprechende Verfügbarkeit gegeben ist. Kein Patient muss länger warten, niemand wird medizinisch oder anderweitig schlechter behandelt.
SGH-Mediensprecher Max Winiger: «Durch den Artikel und die Eskalierung ist eine angesehene Klinik in Luzern, deren Ärzteschaft und das Personal grundlos angeprangert worden. Die OKL-Ärztinnen und Ärzte, alle Mitarbeitenden setzen sich jeden Tag für das Wohl der Patienten ein und behandeln alle gleich. Das Angebot hat nichts mit Zweiklassenmedizin zu tun und ist absolut gesetzeskonform.»