27.04.2021 |
2. Europäische Unfallrehabilitations-Tagung Bellikon bringt neue Perspektiven
Die 2. Europäische Unfallrehabilitations-Tagung, am 22. April organisiert und digital durchgeführt von der Rehaklinik Bellikon, bestätigte die Notwendigkeit, Rehabilitation im Behandlungsprozess neu und vor allem differenzierter zu positionieren. Der Anlass wurde von Dr. oec. HSG Willy Oggier moderiert, der sich auch für die wissenschaftliche Programmgestaltung mitverantwortlich zeichnet. Sowohl Suva GL-Mitglied Daniel Roscher als auch der Aargauer Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati attestieren der Rehabilitation eine wichtige Rolle bezüglich Qualität und Effizienz. Rehaklinik Bellikon-CEO Dr. Gianni Roberto Rossi appellierte für einen Wechsel vom sektoriellen Denken hin zum Gesamtnutzen mit dem nachhaltigen Wohl der Patienten im Fokus.
Zum zweiten Mal nach 2019 lud die Rehaklinik Bellikon der Suva ein zum interdisziplinären Austausch rund ums Thema Unfallrehabilitation. Corona-bedingt fand der Anlass am vergangenen Donnerstag, 22. April, virtuell statt. Hintergrund bildete eine Publikation zur Differenzierung der einfachen und komplexen Unfallrehabilitation, die im Rahmen der Schriftenreihe der Schweizerischen Gesellschaft für Gesundheitspolitik SGGP kurz vor der Tagung publiziert worden war. Dennoch werden qualitative Kriterien heute nur bis zum Ende der medizinischen Behandlung definiert, obwohl Patienten in vielen Fällen erst nach einer aufwendigen Rehabilitation vollends genesen und im Rahmen der Möglichkeiten wieder zurück ins gesellschaftliche und berufliche Leben integriert werden können.
Emanzipation der Unfallrehabilitation
Eine zentrale Rolle spielt im Bereich der Unfallrehabilitation die Suva. «Sie ist weit mehr als eine Versicherung», betonte GL-Mitglied Daniel Roscher. «Drei Säulen bilden unsere Basis: Prävention, Versicherung und Rehabilitation. Oberste Ziele sind eine schnelle Reintegration und zufriedene Patienten.» Die Suva orientiere sich zudem an neusten Therapieformen und Hilfsmitteln, obwohl in der Schweiz keine allgemein anerkannten Kriterien für das anspruchsvolle Spezialgebiet Unfallrehabilitation existierten. Im Fokus stünden daher, so Roscher, die Emanzipation der Unfallreha gegenüber andern Rehaformen, der kostensparende Aspekt «ambulant vor stationär», frühestmögliche Überweisungen in die Rehabilitation, begleitet von einem kompetenten Case Management, und ein dauerndes Optimieren aller Prozesse, um den starken Kostendruck zu meistern, welcher mit der Einführung von der leistungsorientierten Finanzierung ST-Reha ab 2022 folgen wird.
540 Mio. Franken für stationäre Versorgung im Aargau
Rehakliniken sind Teil der kantonalen Spitalplanung. Regierungsrat Jean-Pierre Gallati, Aargauer Gesundheitsdirektor, will eine Überversorgung vermeiden und klare Qualitätsnachweise sehen. Das bedeute auch hohe Effizienz in der Leistungserbringung. Der Kanton Aargau zahle jährlich 540 Mio. Franken an die stationäre Versorgung, jährlich zwischen 1 und 4,5 Prozent wachsend. Gallati: «Das sind zehn Prozent des Kantonsbudgets. Entsprechend fordern wir einheitliche Richtlinien der Rechnungslegung zur besseren Vergleichbarkeit und eine intensive Zusammenarbeit zwischen Kanton, Kliniken, Sozialversicherungsamt und Amt für Wirtschaft und Arbeit.» Im Aargau werden gemäss Gallati jährlich über 13'000 Reha-Patienten behandelt, mehr als die Hälfte davon stammen aus anderen Kantonen. «Die neue Spitalliste Rehabilitation des Kantons Aargau tritt voraussichtlich per 2024 in Kraft. Ob für die Unfallrehabilitation eine eigene Leistungsgruppe definiert wird, ist offen. Absehbar ist, dass an die Leistungsaufträge hohe Qualitätsanforderungen bezüglich Prozess-und Strukturqualität gestellt werden und die Leistungsgruppen, insbesondere in den Bereichen muskuloskelettale und neurologische Rehabilitation, stärker unterteilt werden.» Zur Aufnahme in die Spitalliste seien steigende Qualitätsansprüche zu erfüllen bezüglich Management, Kennzahlen, Behandlungskonzepten, Report kritischer Vorkommnisse und Hygiene sowie für die Reha das entscheidende Element der frühestmöglichen Behandlung.
Unfallrehabilitation als Präzedenzfall für nationale Spitalstruktur?
Qualität bleibe im Fokus, war auch Prof. Dr. jur. Ueli Kieser aus St.Gallen überzeugt. Das Krankenversicherungsgesetz verlange in den Artikeln 39 (Spitallisten) und 43 (Vergütung) eine garantierte Qualität, Details regle Artikel 58 der entsprechenden Verordnung. Interessant sei allerdings, dass hier die unterschiedlichen Reha-Kategorien nicht besonders betrachtet werden. Kieser: «Es drängt sich aber auf, auf Verordnungsebene den Begriff der medizinischen Rehabilitation genauer zu umschreiben. Damit kann der Kreis der vergütungsfähigen Leistungen klar gefasst werden, und es kann auch bei der Zulassung zur Leistungserbringung und mit Blick auf die notwendige Qualität gesichert erhoben werden, ob die zur Zulassung zu prüfende Rehabilitationsklinik die entsprechenden Kriterien erfüllt.»
Einbezug der Unfall-Patienten in die Erarbeitung der Unfallreha-Qualitätskriterien
Die betroffenen Unfallreha-Patienten müssen in die Erarbeitung von neuen Qualitätskriterien miteinbezogen werden. Als Direktbetroffene können sie wichtige Inputs beisteuern. Sie haben spezifische Bedürfnisse und einen berechtigten Anspruch, bei den entsprechend dafür eingerichteten Leistungserbringern behandelt zu werden. Dies kam auch während der Podiumsdiskussion seitens der eingeladenen Patientin, Katja Rüesch, zum Ausdruck.
Interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit
Gerade weil es sehr komplexe Fälle gebe und sich die Therapieformen und Hilfsmittel ständig weiter entwickeln, seien optimale Prozesse jeden Tag entscheidend, erläuterten der Chief Medical Officer der Rehaklinik Bellikon, Dr. med. Christian Sturzenegger, Dr. Peter Erhart, Leiter Unternehmensentwicklung/Qualitätsmanagement und Renée Bolzern, Leiterin Ressort Therapien Rehaklinik Bellikon. Es brauche konzeptionelle Partnerschaften, interprofessionelles Vorgehen und enges Zusammenarbeiten zwischen Akut- und Rehakliniken. Strukturell seien erstklassige bildgebende Verfahren, die technische Orthopädie und robotergesteuerte Therapien zu erwähnen, während es bei den Prozessen um interdisziplinäres und interprofessionelles Zusammenarbeiten und schliesslich bei der Ergebnisqualität um Reintegration, Patientenzufriedenheit und optimale Koordination mit sozialen Stellen wie der IV gehe.
«Unfallrehabilitation bleibt auch in Zukunft sehr individuell», zog Dr. Gianni Roberto Rossi, CEO Rehaklinik Bellikon, ein Fazit. «Entscheidend bleibt das Faktum, wie gut sich unsere Patienten im Leben und Beruf wieder zurechtfinden. Komplexe Unfallrehabilitation ist Reha plus. Nur mit einem ganzheitlichen Denken und einem auf die spezifischen Bedürfnisse zugeschnittenen Angebot können wir die Anforderungen an Qualität und Effizienz in Zukunft erfüllen. Es bleibt zu hoffen, dass die Versicherungen zukünftig auch beim Produkt der komplexen Unfallrehabilitation Leistungserbringer berücksichtigen, welche die entsprechenden Anforderungen erfüllen – genau so, wie sie es heute auch bei anderen Produkten machen.»
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